Die Digitalisierung des Einkaufs kann das Beschaffungswesen von Unternehmen auf eine neue Stufe heben. Karena Ritscher, Project Manager bei The Nunatak Group, erläutert im Interview mit Gründungspartner Robert Jacobi die Vorteile einer digitalen Strategie für den Einkauf.
Worum geht es bei der „Digitalisierung des Einkaufs“ eigentlich?
Unser Fokus liegt hier auf der Digitalisierung des indirekten Einkaufs, nämlich der Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen, die nicht in das Enderzeugnis des Unternehmens einfließen. Diese können je nach Unternehmen 15 bis 30% des Einkaufsvolumens ausmachen. Viele Unternehmen haben längst damit begonnen den Einkauf zu digitalisieren; allerdings hinkt der indirekte Einkauf meist noch hinterher. Aber gerade hier schlummern die verstecken Effizienzpotentiale.
Warum genau ist das Potenzial im indirekten Einkauf so hoch?
Typischerweise bestellt jede Abteilung benötigte Bedarfe wie Büromaterialien oder Computerzubehör eigenmächtig – häufig bei dem Lieferanten, der das passende Produkt schnell und einfach verfügbar hat. Oftmals passiert das ohne Einbezug der Einkaufsabteilung. Das nennt man auch Maverick Buying, definiert als „Beschaffung außerhalb standardisierter Beschaffungswege“.
Die Digitalisierung des indirekten Einkaufs schafft etwa durch die Nutzung digitaler Einkaufsplattformen eine deutliche Reduktion des Maverick Buying. Somit können langfristig die Kosten auf Beschaffungsseite deutlich reduziert werden. Einen zusätzlichen Hebel stellen hierbei die Reduktion der allgemeinen Prozesskosten durch Automatisierung und Vermeidung redundanter (analoger) Prozesse dar. Dies führt zu deutlichen Effizienzgewinnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Allein auf Prozesskosten geblickt, können je nach Ausganslage Einsparungen von bis zu 50% erzielt werden.
Wie kam es dazu, dass sich Nunatak mit der Digitalisierung im Einkauf beschäftigt hat?
Im Rahmen eines Projektes haben wir bei einem großen Automobilkonzern die Digitalisierung des indirekten Einkaufs begleitet. Es war dabei unser Ziel den indirekten Einkaufsprozess zu vereinfachen und die interne Prozesseffizienz zu erhöhen. In einem dreistufigen Ansatz haben wir dabei den Einkauf der Unternehmenszentrale, dann ausgewählte Produktionswerke und anschließend sogar den gesamten globalen Einkauf digitalisiert. Unser Leitgedanke hierbei war es, die Bedarfserfassung in möglichst wenigen Schritten zu gewährleisten. Auch die Transparenz über verfügbare Kontrakte/ Lieferanten und Produkte wurde erhöht, um die Maverick Buying-Quote zu reduzieren. Nach einem Assessment und der Definition von Handlungsfeldern hat Nunatak hier insbesondere in der Tool-Auswahl und -Anbindung unterstützt. Dabei lag unser Fokus auf der Sammlung von Anforderungen aller Stakeholder, einem detaillierten Vendoren-Screening, Testing sowie der prozessualen Verankerung (Prozess-Design, Aufbau Governance-Struktur, Mitarbeiterkommunikation und Rollout) des neuen indirekten Einkaufskonzepts innerhalb der Organisation.
Was waren Ergebnisse dieses Projekts und was können wir daraus lernen?
Wir haben innerhalb von nur drei Monaten erfolgreich zwei Marktplätze sowie ein Katalogmanagementsystem angebunden und erste Live-Tests unternommen. Anschließend haben wir Prozesse und Rollen nachhaltig etabliert und ein klares internationales Rollout-Konzept erstellt. Bezüglich deiner zweiten Frage, was wir daraus gelernt haben: Change-Management ist essenziel und entscheidender Erfolgsfaktor. Alle „Stakeholder“ – also Einkauf, IT, Fachabteilungen – von Beginn an in den Prozess zu integrieren und neue Prozesse durch Kommunikation und Schulungen langfristig zu verankern ist eine Mammut-Aufgabe, die allerdings die Basis für die erfolgreiche Implementierung ist. In diesem Kontext haben wir z.B. sehr gute Erfahrungen mit Test-Usern gemacht, die anschließend als Change-Botschafter berufen wurden und ihre Erkenntnisse in die Organisation getragen haben.
Ist die Digitalisierung des indirekten Einkaufs für jedes Unternehmen bereits jetzt sinnvoll?
Definitiv, ja! Natürlich gibt es unterschiedliche Reifegrade der Unternehmen in der Digitalisierung des indirekten Einkaufs. Jedoch gibt es auch bei weit entwickelten Unternehmen mit hohem Reifegrad noch Potenziale zu erschließen. Gemeinsam mit zwei Partnerunternehmen haben wir das Nunatak Reifegradmodell zur Digitalisierung des indirekten Einkaufs entwickelt. Dieses zeigt den Kunden mögliche Verbesserungspotenziale in den Kernbereichen auf: Prozesse, Technologien und Tools sowie Mitarbeiter. Dies dient als Ausgangsbasis für die mittel- und langfristige Weiterentwicklung und der Effizienz und ermöglicht auch die Ableitung von “Quick-wins”.
Wie hat die Pandemie den indirekten Einkauf im letzten Jahr verändert?
Corona war ganz klar ein Weckruf für viele Unternehmen, die Digitalisierung in allen Bereichen voranzutreiben. Speziell für den Einkauf wird es immer wichtiger, gegenwärtige Trends zu identifizieren, zu evaluieren und anschließend neue Technologien auch konsequent zu implementieren. Getrieben durch den Einfluss der Pandemie auf Unternehmensprozesse haben viele Unternehmen erkannt, dass die Kostensensibilität im Einkauf erhöht werden kann. Wir haben bemerkt – nicht zuletzt bei den großen DAX-30-Konzernen – dass schnell Einsparpotenziale in der indirekten Beschaffung entdeckt wurden und das Thema digitaler Einkauf mit großem Marktinteresse an Fahrt aufnimmt.
Welche Tools nutzt der indirekte Einkauf derzeit?
Es gibt einen sehr großen Markt mit einer Vielzahl an Tools mit unterschiedlichsten Funktionen: Neben kompletten Procurement-Suites, wie zum Beispiel SAP Ariba oder WPS, gibt es noch viele spezialisierte Anbieter in Teilbereichen, wie etwa DocuSign im Contracting oder Mercateo im Bereich B2B-Marktplätze. Grundsätzlich unterscheiden Unternehmen zwischen einer Best-of-Suite Lösung (umfassende Lösung eines Anbieters) oder einer Best-of-Breed Lösung (Kombination vieler spezialisierter Anbieter). Dabei kommt es ganz auf die individuellen Anforderungen des Unternehmens an.
Wovon hängt denn nun die richtige Lösung ab? Branchen, Unternehmensgröße oder Reifegrad?
Dazu gibt es leider keine einfache Antwort. Lösungen sind meist branchenübergreifend, da der indirekte Bedarf vergleichbar ist. Unternehmensgröße spielt natürlich eine wichtige Rolle. Die Einsparpotenziale sind bei großen Unternehmen deutlich höher, daher lohnt sich das Investment in umfangreichere (aber auch teurere) Tools. Nichtsdestotrotz lohnen sich digitale Lösungen auch für KMUs; hier macht häufig zuerst eine Auswahl der Kerntools Sinn, bevor eine umfassende Suite eingeführt wird. Ein weiterer Faktor ist der Internationalisierungsgrad eines Unternehmens und die Verfügbarkeit des Tools auf nationaler Ebene. Zudem spielen nicht selten die Compliance-Anforderungen bei der Auswahl eine wichtige Rolle, die bereits von Beginn an mit berücksichtig werden müssen.
Wie sieht das konkrete Angebot von Nunatak im indirekten Einkauf nun aus?
Die Digitalisierung des indirekten Einkaufs ist nicht immer ein Riesenprojekt – ganz im Gegenteil. Kleine Digitalisierungsschritte auf dem Weg zum Ziel können schnell erste Erfolge aufweisen und helfen die Sinnhaftigkeit der Digitalisierung in den Unternehmen besser zu verstehen. Daher haben wir ein stufenweises Angebot entwickelt: In einem ersten Kennenlernen verschaffen wir uns einen Überblick zur aktuellen Situation beim Kunden. Je nach Bedarf bieten wir dann einen maßgeschneiderten Ansatz im Sinne einer Small, Medium, Large-Logik an. Small beschreibt hier die Durchführung einer Analyse bezüglich des heutigen Setups (Technologie, Prozesse, Kompetenzen) mit Hilfe von Stakeholder-Interviews und einer Evaluation des aktuellen Reifegrades. Medium umfasst zusätzlich noch die Entwicklung eines Zielbildes mit konkreten Handlungsfeldern und eines Umsetzungsfahrplan, der Maßnahmen nach Relevanz, Nutzen und Aufwand priorisiert. Large – die umfassende Lösung – beinhaltet darüber hinaus auch noch die Umsetzung des Zielbildes durch Pilotprojekte, Nutzertests, Prozess- und Rollen-Detaillierung sowie umfassender Change-Begleitung. Die Entscheidung über den Projektumfang wird meist in einem ersten unverbindlichen Workshop getroffen, in dem über digitale Trends und über erste potenzielle Ansätze gesprochen wird.