05.10.2020

Ist das die richtige Zeit, um über Innovation nachzudenken?

Diese Frage mag kontraintuitiv klingen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Deutsche Wirtschaftsleistung laut Bericht des Statistischen Bundesamtes im zweiten Quartal des Jahres 2020 um 10,1% geschrumpft ist. In den USA ist die Wirtschaftsleistung laut dem U.S. Bureau of Economic Analysis im zweiten Quartal sogar um 32,9% eingebrochen.

Große wie kleine Unternehmen ringen mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie – von großen Fluggesellschaften bis hin zum Gastronomiebetrieb oder dem einzelnen Freelancer.

Doch die „schöpferische Zerstörung“ der Krise schafft auch Innovationsbedarfein Blogartikel von unserem Project Lead Marian Sander.

Gerade jetzt, in Krisenzeiten, braucht es Innovation. Das bestätigt auch die eindeutige Mehrheit der führenden Entscheider aus Großunternehmen im deutschsprachigen Raum, die wir im Rahmen unserer #NextLevelDigitalStudie befragt haben. 65% geben an, dass sie einen hohen oder sehr hohen Handlungsbedarf bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle sehen (Es handelt sich laut den Teilnehmern demnach um das zweitwichtigste Handlungsfeld nach dem Thema Datenstrategie, das von 67% genannt wurde). Ebenfalls 65% gehen davon aus, dass die jetzt angestoßenen Entwicklungen von digitalen Produkt- & Serviceinnovationen während und auch nach Krise aufrechterhalten oder sogar weiter ausgebaut werden.

Es scheint, als würde sich eine altbekannte Weisheit bestätigen: Not macht erfinderisch.

Und in der Tat, die durch Corona beschleunigte Digitalisierung zeigt schon jetzt das disruptive Potenzial: Digitale Services machen traditionelle Produkte und Geschäftsmodelle scheinbar über Nacht obsolet. Nicht zu Unrecht beschrieb der berühmte Ökonom Joseph Schumpeter den Begriff Innovation schon vor knapp 80 Jahren als „schöpferische Zerstörung“.

In den letzten Wochen und Monaten musste ich oft an eine Erkenntnis aus einem Workshop mit dem Strategiechef eines europäischen Bahnunternehmens denken, der schon einige Jahre zurückliegt: „Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, müssen wir Skype als ernsthafte Bedrohung für unser Geschäftsmodell und als Wettbewerber betrachten.“ Welches Potenzial schon damals in dieser Erkenntnis lag, wird jetzt in der Corona-Krise deutlich: Während die Nutzerzahlen von Videokonferenzsystemen explosionsartig angestiegen sind, verzeichnen die Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel herbe Verluste.

Digitale Dienstleistungen kennen keine Sektorgrenzen 

Die Corona-Krise zeigt deutlicher als je zuvor, dass digitale Dienstleistungen keine Sektorgrenzen kennen: Ein Unternehmen wie Zoom, das man dem Sektor Media, Telco & IT zuordnen würde, ersetzt gewissermaßen Transport- & Logistikprodukte. Natürlich kannten wir diesen Effekt auch schon vor der Corona-Krise: Mobilitätsdienste wie Uber setzten das Geschäftsmodell klassischer Automobilhersteller unter Druck. Inzwischen greifen Streamingdienste wie Prime Video des Onlinehänders Amazon das Geschäft von klassischen Medienunternehmen an. In vielen Fällen ist ein digitaler Dienst dabei deutlich kosteneffizienter, flexibler und benutzerfreundlicher.

An dieser Stelle sei daher folgende These in den Raum gestellt: Jedes physische Produkt, welches durch einen digitalen Dienst ersetzt werden kann, wird auch durch einen digitalen Dienst ersetzt werden. Die Anlehnung an Murphy‘s Law ist dabei durchaus bewusst gewählt: “Anything that can go wrong will go wrong.”

Denn so wird es zweifellos all jenen ergehen, die es verpassen, jetzt auf die Veränderungen zu reagieren: Everything will go wrong.

Mit Innovationen gegen die Krise

In einer Welt, in der Sektorgrenzen und Marktbarrieren keine verlässlichen Orientierungspunkte mehr darstellen, wird der Fokus auf den Kunden bzw. Konsumenten umso wichtiger.

Die entscheidende Herausforderung liegt darin, die geeignete Rolle im Leben der Konsumenten neu zu definieren – basierend auf umfassenden Erkenntnissen über die Bedürfnisse und „Pain Points“, die es dabei zu lösen gilt.

Was theoretisch klingt, lässt sich anhand von einigen Beispielen aus der aktuellen Corona-Krise anschaulich darstellen. 

  • So identifizierte der Werkzeughersteller Hilti, dass sich die Anforderungen an die Arbeitssicherheit der Werkzeugnutzer auf Baustellen durch die corona-bedingten Abstandsregeln fundamental verändert haben und bringt entsprechend ein neues digitales Werkzeug auf den Markt, um Layoutvermessungen durch lediglich eine einzelne Person zu ermöglichen und so gleichzeitig die Effizienz in diesem Bauprojektschritt auch für die Zeit nach Corona signifikant zu optimieren.
  • Infineon erkannte, dass Menschenansammlungen sich auch in der Corona-Krise nicht vermeiden, wohl aber steuern lassen und entwickelte innerhalb von drei Monaten eine neue Radartechnologie sowie den dazugehörigen Software-Algorithmus, um die Anzahl von Menschen beim Betreten von Gebäuden oder einzelnen Räumen über verschiedene Eingänge zu zählen und so effizientes Crowd-Management zu ermöglichen. Auch in der Post-Corona-Zeit werden sich Gebäudeauslastungen und Bürokapazitäten besser analysieren lassen.
  • Ottobock hat erkannt, dass der spezifische Informationsbedarf von Orthopädietechnikern, Therapeuten und anderen klinischen Experten zu komplexen Medizintechnikprodukten ein kritischer Erfolgsfaktor für die Kundenbindung darstellt und das Vertrauen in die Marke maßgeblich beeinflussen. Entsprechend hat Ottobock bereits im April große Teile des Ottobock Academy Formats digitalisiert und ein umfassendes Online Trainingsprogramm geschaffen.
  • Ikea erkannte schnell die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertriebskanäle und entschied sich bereits im März dafür, 4000 seiner 9500 Produkte in China über Alibabas Tmall Plattform zu vertreiben – für das Möbelhaus ein innovativer Schritt im Vertrieb, wenn man bedenkt, dass sich das Geschäft bislang überwiegend auf den physischen Handel konzentriert hat.
  • Roboterhersteller Kuka sieht in der Corona-Krise einen verstärkten Bedarf nach Automatisierung in der Produktion und schließt sich mit T-Systems zusammen, um analoge Roboter über intelligente Vernetzung nachzurüsten.
  • Adidas hat bereits vor der Corona-Krise das Potenzial von additiven Fertigungstechniken mittels 3D-Druck erkannt. In der Corona-Krise baut der Sportartikelhersteller seine Fähigkeiten in diesem Bereich gezielt aus und kombiniert diese mit künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence), um Lieferketten zu stabilisieren, die Resilienz zu erhöhen und die Belastbarkeit der Nachfrageplanung (Customer Demand Planning) zu verbessern. 

Diese Beispiele machen deutlich, dass nicht nur „digitale Pure Player“ aus dem Silicon Valley Potenziale in der beschleunigten Digitalisierung nutzen können, sondern auch europäische Traditionsunternehmen. Und in der Tat: Eine Krise bietet auch die Chance, antizyklisch zu agieren und Wettbewerbsvorteile zu erzielen, während andere versuchen, ein Kerngeschäft zu sichern, das in Kürze womöglich in weiten Teilen obsolet sein könnte.

Doch wie gelingt das Erfinden, wenn Lieferketten ins Stocken geraten, Kunden wegbleiben und Mitarbeiter nur noch auf Distanz zusammenarbeiten können?

Mehr dazu und zur Frage, wie sich Innovation und Risiko während der Corona-Krise erfolgreich ausbalancieren lassen, folgt in Teil 2 dieses Beitrags.

Header Image: Shutterstock/Peshkova

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