13.05.2020

Covid-19 beendete jäh den Höhenflug einer der vielversprechendsten Wachstumsbranchen überhaupt: Die Pandemie führte auch im New Mobility Markt weltweit zum Einbruch der Nutzungs- und Verkaufszahlen. Wird damit schon wieder das Ende der neuen Mobilität eingeläutet? Im Gegenteil, sagt unser Mobility-Experte und Principal Jérôme Nonnenmacher. Er meint: die Branche steht für eine völlig neue Form der Markenführung.

Jérome, das Corona-Virus hat fast alle Bereiche des alltäglichen Lebens zeitgleich ausgebremst – beginnt damit der Abgesang auf die New Mobility?

Nein, im Gegenteil: im Zuge der aktuellen Lockerung der Ausgangsbeschränkungen wird es im nächsten Schritt eine starke Nachfrageverschiebung hin zum Individualverkehr geben. Vor allem die Einwohner in den großen Ballungszentren suchen ja weiterhin nach Alternativen zu ÖPNV und dem Auto. Das goldene Zeitalter für die New- & Micro-Mobility könnte damit erst richtig anbrechen.

Gibt es dafür erste Indizien?

Ja, durchaus. Der chinesische Elektronikkonzern Xiaomi beispielsweise hatte erst Ende April weltweit einen neuen E-Scooter präsentiert. Man glaubt also an diesen Zukunftsmarkt und will den weiter erobern. Hinzu kommt: Viele Anbieter waren und sind in der Krise ja nicht untätig und haben hier mit sehr geschicktem Marketing auf sich aufmerksam gemacht. TIER etwa startete eine Kampagne, bei der systemrelevanten Berufsgruppen Freifahrten ermöglicht wurden.

Warum ist Marketing für die Branche so wichtig?

Es ist so: Unter Markengesichtspunkten sind insbesondere die E-Roller als Speerspitze der New Mobility Bewegung eine echte Herausforderung: gleicher Produktnutzen, nahezu gleiches Design, die Marken-Inszenierung auf der Straße bleibt komplett den Usern überlassen und als Statussymbole im herkömmlichen Sinne taugen sie kaum. Marketer sollten sich vor diesem Hintergrund die Entwicklung in der Branche auf jeden Fall näher anschauen. Denn: Die neue urbane Mobilität ist ein Phänomen, aus dem sich Gesetzmäßigkeiten für andere Branchen ableiten lassen.

Welche sind das?

Bemerkenswert ist zunächst, dass E-Scooter scheinbare Gegensätze zusammenführen – sie sind vernünftig und machen Spaß, sie entsprechen dem allgemeinen Zeitgeist und ermöglichen ein Maximum an Individualität, erste Anbieter wollen zukünftig klimaneutral agieren, dies führt trotzdem zu keinem Verzicht, sie gewinnen keinen Designpreis und sind trotzdem hip. Vor allem aber: Sie stehen für totale Spontanität. Keine Wartezeiten, kein Stau, keine fehlende Verfügbarkeit. Der zeitgemäße On-Demand-Service, den User aus Musik (Spotify), TV (Netflix) und Shopping (E-Commerce) kennen, kommt damit erstmals auf die Straße. Wer ein solch einschneidendes Nutzererlebnis schafft, braucht keine großen klassischen Marketingtöpfe.

Welche Rolle spielt Technologie dabei?

Eine ganz entscheidende: In immer mehr Branchen findet der erste Touchpoint mit dem Kunden auf dem Smartphone statt. Egal, ob nun Banken, Versicherungen oder der gesamte Handel. Das ist in der New Mobility auch so. Doch sie fügt dem zwei entscheidende Wirkungskomponenten hinzu: die On-Demand-Nutzung und den Zugriff auf elektrifizierte Shared Services. Damit vereint sie drei entscheidende Erfolgsparameter zur Durchsetzung neuer Geschäftsmodelle. Und nicht zu vergessen: E-Scooter-Anbieter sind vor allem gigantische Datenpools. Bewegungsdaten, Standzeiten, Fahrten pro Tag, zurückgelegte Entfernung, Ausleihrate pro Quadratkilometer und, und, und. Mit den per App bzw. GPS-Tracker erhobenen Daten können die Anbieter nahezu in Echtzeit ihre Flotten in den Städten aussteuern – und zwar runtergebrochen auf Stadtteile, Straßen und Straßenabschnitte. Kaum eine andere Branche kann ihr Angebot datenbasiert so passgenau an die User-Nutzung und -Bedürfnisse anpassen wie die New Mobility.

Was sind Deiner Meinung nach die Konsequenzen für die etablierten Anbieter?

Das lässt sich am besten im Kontext der Adaptionsraten analysieren: die steigen nämlich im Bereich der Mobilität exponentiell schnell. Benötigten Car-Sharing-Anbieter fast fünf Jahre für eine Million Fahrten, gelang dieser Meilenstein einigen E-Scooter-Start-Ups schon nach wenigen Wochen. Das Tempo, in dem sich neue Märkte entwickeln, setzt hier die etablierten Player unter Zugzwang. Automobilhersteller etwa müssen darauf reagieren – ihr Angebots- und Leistungsportfolio ebenso anpassen wie die Zielgruppenansprache. Sie wandeln sich damit zu Mobilitätsanbietern. Doch das setzt zwei Dinge voraus: ein professionelles Innovationsmanagement und schnelles Handeln.

Die Disruption im Mobilitätsmarkt ist also im vollen Gange. Machen die neuen Player Deiner Meinung nach also alles richtig?

Aus Nutzersicht – und die ist schließlich wesentlich – ist ein Defizit offenkundig.

Die Angebote sind in Summe noch zu granular, es fehlt eine übergeordnete Vernetzung – etwa aus Car-Sharing, Bike-Sharing, aber auch den städtischen Angeboten wie den ÖPNV. Nur so entsteht eine lückenlose Verbindung, die es Nutzern ermöglicht, idealerweise über eine einzige Schnittstelle alle Angebote individuell on demand zu kombinieren. Basis dafür könnten neue Mobilitätsplattformen sein, die sämtliche New Mobility Services pro Stadt vereinen. Das Technologie-Unternehmen Trafi bietet ein solches Angebot bereits – doch bis dato ist die entsprechende App nur für Berlin und bald auch München abrufbar. Eine deutschlandweite Abdeckung ist noch in weiter Ferne – hier sind insbesondere auch die Städte gefragt. Sie müssen ihre Angebote hier schließlich auch integrieren.

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